Die Entdeckung Samothrakis
Josef Peneder Die Entdeckung Samothrakis Im    Frühling    1986    verlor    ich    bei    einem    Unfall    mein    Auto    und erwarb,   wegen   der   nahen   Ferien   und   dem   Sommerfeeling,   einen alten    VW-Bus.    Der    Vorbesitzer    erläuterte    mir    nicht    nur    die Vorzüge   des   neuen   Veteranen,   sondern   meinte   auch,   der   Bus   sei es    gewohnt,    jeden    Sommer    die    im    Nordosten    Griechenlands vermutete,   geheimnisumwitterte   Insel   Samothraki   aufzusuchen, er   finde   den   Weg   dorthin   praktisch   von   alleine   und   uns   würde   die wildromantische,   gebirgige   und   wasserreiche   Schönheit   der   Insel bestimmt zusagen. Im     August     desselben     Jahres     erreichten     wir,     von     unserem Basislager    in    Sithonia    aus,    auf    teilweise    noch    asphaltfreien Straßen   über   Jerissos,   Asprovalta,   Kavala,   Xanthi   und   Sapes   die Hafenstadt     Alexandroupolis,     von     wo     wir     sogleich     mit     der „Arsinoi“ in See stachen. Damals   wurden   exotische   Touristen   von   den   Einheimischen   noch wohlwollend     bestaunt,     wir     freundeten     uns     gleich     mit     dem Barkeeper   an   und   durften   sogar   auf   der   Kommandobrücke   neben dem Käptn stehen und kurz das Steuerruder halten. Der    Anblick    der    Insel    vom    Meer    aus    ist    immer    wieder    ein erhebendes   Erlebnis,   wirkt   sie   doch   schroff   und   unnahbar,   das Saos-Massiv    mit    dem    über    1600    Meter    hohen    Fengari    meist wolkenverhangen,    die    Küstenlinie    in    geheimnisvoll    wallendem Dunst.   Gerne   begleiten   Delphine   das   Fährschiff   und   bis   heute sehe   ich   der   Ankunft   im   Hafen   von   Kamariotissa   nach   der   etwa zweieinhalbstündigen 50 km-Fahrt mit Ungeduld entgegen. Aus   der   Nähe   zeigt   sich   Samothraki   in   üppigem   Grün,   vor   allem im   Norden   und   Osten   sind   die   Berghänge   bis   hoch   hinauf   dicht bewaldet,   auf   der   Westseite   gibt   es   Ebenen,   auf   denen   Getreide angebaut    wird;    im    Sommer    flimmern    die    abgeernteten    Felder gelb   in   der   Mittagssonne,   gelegentlich   steht   ein   Maultier   oder eine   kleine   Schafherde   im   Schatten   unter   einem   einsamen   Baum. Nach   Süden   hin   sind   die   Hügel   und   Hänge   bis   zur   Küste   mit Olivenbäumen        bedeckt,        die        ein        geschmackvoll-herbes, dunkelgrünes Öl liefern, das beste Griechenlands! 1 Eine   beschwerliche   Fahrt   durch   die   engen   Gassen   von   Lakoma, wo    an    der    zentralen    Kreuzung    die    geduldigen    Besucher    des Kafenions    zweimal    am    Tag    mit    ihren    Tischchen    und    Stühlen wegrückten,   wenn   der   Autobus   vorbei   wollte,   brachte   uns   zum einzigen   Sandstrand   der   Insel,   der   im   Südosten   liegt   und   Pachia Ammos genannt wird. Wir   packten   dort   unsere   Schlafsäcke   aus   und   kampierten   einige Tage   lang   am   Strand,   während   in   der   Nähe   die   bis   heute   noch einzige   Taverne   ihren   Betrieb   im   halbfertigen   Rohbau   aufnahm. Wir   wurden   überschwänglich   zur   abendlichen   Einweihungsfeier eingeladen.   Es   gab   unter   anderem   einen   im   Ganzen   gekochten Ziegenschädel   und   man   pries   uns,   die   wir   damals   nur   mit   dem Berlitz-Schnellsiedekurs    „Griechisch    für    die    Reise“    ausgerüstet waren,     mit     Gesten     und     den     Worten     „Number     one!“,     die geschmackliche     Einmaligkeit     der     noch     immer     verwundert dreinblickenden   Ziegenaugäpfel   an;   wie   froh   waren   wir,   dass   es wenigstens Pommes frites gab! Heute    floriert    die    Taverne    im    Sommer,    da    alle    Samothraki- Besucher    die    Pachia    Ammos    –    Sandbucht    besuchen;    es    gibt Liegen         und         Schattenhütchen,         eine         Strandbar         und Dauerberieselung    mit    moderner    Musik,    doch    im    Schatten    der Platanen   und   Weiden   vor   der   Taverne   kann   man   bei   traumhafter Kulisse     noch     richtig     entspannen,     türkisblaues     Meer,     helle Sandsteinfelsen,   weit   draußen   die   türkische   Insel   Imbros   –   und unter          den          Bäumen          am Zufahrtsweg        Schilder:        „Nicht unter   den   Bäumen   parken!“   Nun sind    besonders    die    Besitzer    von funkelnden   Mercedes-Limousinen gerne        der        Meinung,        solche Schilder      seien      zu      ignorieren 2 , stellen      sich      also      demonstrativ unter    die    Bäume,    schnaufen    mit Frau    und    Kindern    zur    Taverne herauf     und     rennen,     schwitzend und      fluchend,      nach      wenigen Minuten   unter   dem   Gelächter   des Publikums   wieder   zu   ihren   Autos, weil      inzwischen      eine      mittlere Ziegenherde        das        Wagendach erklommen   hat,   um   an   die   Blätter der Bäume zu gelangen. Der    Höhepunkt    unserer    Inselerkundung    war    aber    das    Tal    des Phonias,   was   „Mörder“   bedeutet   und   schon   darauf   hinweist,   dass die    wilden    Felsschluchten    und    Wasserfälle    regelmäßig    Opfer unter den Ziegen und Touristen fordern.
Nach      ca.   40   Minuten   entlang   des   Baches   kommt   man   zum   ersten Pool,    der    von    einem    eindrucksvollen    Wasserfall    gespeist    wird. Hier   lagern   ab   Mittag   viele   Touristen,   da   es   nur   noch   über   steile Pfade   weitergeht.   Versucht   man,   den   Phonias   zu   „erklettern“,   was ohne       Pr ofi-Canyoning-Ausrüstung       nur       mit       zeit–       und kräfteraubenden   Umgehungen   möglich ist,    so    wird    man    allerdings    belohnt: immer       neue       Wasserfälle,       bizarre Felsformationen,   steile   Schluchtwände und   große   Pools   machen   dieses   Tal   zu einem      der      schönsten      Gebirgstäler Europas. Dazu    kommt    noch    die    Unberührtheit und,   wegen   des   unwegsamen   Geländes, die Einsamkeit. Etwas    weiter    im    Osten    befindet    sich auf   den   Inselkarten   ein   Stückchen   im Landesinneren   der   Ort   Ano   Meria,   in Wirklichkeit    repräsentiert    durch    eine einzige   Taverne   und   wenige,   verstreut   liegende   Steinhäuschen. Dort   gibt   es   den   Angistros,   einen   Bach,   der   auch   im   Sommer Wasser   führt.   Von   einer   Quelle   hinten   im   Tal   wird   ein   Aflaki,   eine Bewässerungsrinne,   gespeist.   Wir   hatten   vor   einigen   Jahren   das Glück,    dort    ein    Grundstück    zu    erwerben    und    uns    sesshaft    zu machen. Die   Taverne   „Oi   Karydies“   ist   die   einzige   im   Umkreis   von   etlichen Kilometern   und   berühmt   für   ihre   Ziegengerichte   (Katsikaki   La- dokolla).    In    der    Hauptsaison    ist    es    schwer,    einen    Platz    zu bekommen. Weiter      östlich      endet      die      Küstenstraße      an      einer      großen Geröllbucht, genannt Kipos. Hier    findet    man    ruhige    Plätzchen    ohne    Schatten,    dafür    weht meistens ein erfrischender Wind. Auch   den   meisten   Nicht-Griechen land-Kennern   ist   der   Name   der Insel    wegen    der    berühmten    Nike    von    Samothrake    ein    Begriff. Diese   aus   Marmor   von   der   Insel   Paros   meisterhaft   gearbeitete, zweieinhalb   Meter   große   Engelsfigur   wurde   1863   entdeckt   und auf   etwa   190   v.   Chr.   datiert;   Kopf   und   Arme   sind   bis   heute   noch nicht   gefunden,   die   Statue   steht   im   Louvre.   Auf   Samothraki   kann man    aber    im    Museum    von    Palaeopolis    eine    originalgetreue Nachbildung bewundern. Gleich   hinter   dem   Museum   befinden   sich   die   Ausgrabungsstätten des     berühmten     Kabirenheiligtums,     das     in     der     Antike     eine bedeutende   Rolle   gespielt   hat.   Leider   wurden   in   den   vergangenen Jahrhunderten    die    Steinblöcke    und    Säulenteile    immer    wieder zum   Bau   anderer   Gebäude,   etwa   der   nahen   spätmittelalterlichen Genueserburg, weggebracht. Weitere   Ausflugsziele   auf   Samothraki   sind   der   Thermalort   Loutra (Therma),    der    in    den    Bergen    gelegene    Hauptort    Samothraki (Chora),   die   Aussicht   von   den   Tavernen   in   Profitis   Ilias   und   die Hafenstadt    Kamariotissa.    Weiters    gibt    es    die    Möglichkeit,    von Therma    aus    die    Insel    mit    einem    Ausflugsboot    zu    umrunden, wobei     man     auch     die     unzugängliche     Südküste     zu     Gesicht bekommt.    Für    Wanderer    gibt    es    geführte    Touren    bis    hin    zu Canyoning,   und   wer   genug   Kondition   mitbringt,   der   kann   in 5-6 Stunden den 1600m hohen Fengari besteigen. Wer   sich   näher   mit   der   Insel   auseinandersetzen   möchte,   dem   sei die    Seite    von    Ralf    Scheel     empfohlen.    Hier    gibt    es    auch    die aktuellen Fährpläne, viele Fotos sowie zwei Live-Kameras. „De    gustibus    non    est    disputandum“ ,    sagten    schon    die    alten Griechen    (allerdings    auf    Altgriechisch),    und    das    bedeutet    für Samothraki   frei   übersetzt:   entweder   man   verliebt   sich   sofort   in die   schroffe   Bergwelt   und   die   Geröllstrände   und   kommt   immer wieder – oder man hält es dort nicht lange aus. Fortsetzung: Die Besiedelung Samothrakis 1   Die Angaben sind aufgrund des euphorischen Charakters des Autors mit   Vorsicht zu genießen! 2   Möglicherweise ein Vorurteil, allerdings ein liebgewonnenes!
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© Josef Peneder 2016   Version 3.0  /  27.11.2023
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