Geranien
Geranien bluten an den Fensterscheiben
Des weißen Hauses, drüben am Gelände
Und wiegen sich, als strichen Feenhände
Darüber hin in schmeichelndem Verbleiben.
Glutvolle Tropfen zittern Blütenblätter, Duft,
Durch sonnenstrahldurchwebte Luft hernieder.
Und müde, müde sinken meine Lider
Zum Traume rüstend‚ den mein Sehnen ruft.
                                                       Sommer 1919
Mädchenlied
Wir sind uns alle doch so fremd
Und wandern still dahin,
Wir müssen, wenn auch müd gehemmt
Vor unsern Wünschen fliehn.
Wir warten, zitternd in der Zeit
So kindertraumverweht
Des Mai, der unser Mädchenlied 
Mit Blüten übersät.
                                                März 1920
Tanz: Du Staunen, Entfalten,
Verlieren; sich regend, raumtief.
Gebärde von Werden, traumtief...
Lachen, Locken und Halten.
Arme: So zärtliche Hegung
Oder fern, geschmeidige Wehr,
Tauchen, aus einem Meer
Sprühend wilder Bewegung.
Tanz: Gespanntes Rasen
Schmerzlos, sinnlos, Vergessen
Von Schönem, einst besessen...
Fieber, Taumel, Ekstasen...
Traumtief... Vergessen ...
                                                       2. Jänner 1920
Jeder Tag nimmt mich fort. Erst an wunden Abenden finde ich mich wieder. Das macht müde und alt.
                                                                                                                                                                                 Mai 1920
Monolog gegen Morgen
Ich habe eine Nacht überdauert bei Freunden und Fastnachtstollheit. Ich bin nicht müde.
Aber wieder ist wach geworden, was für Stunden in mir schwieg...
Wer doch diese Angst fortjagen könnte... Was soll ich tun?
Nichts ist, was mir Rat gibt.
Was zwingt mich in eine Zukunft, die ich fürchte, die mich krank, oder entsetzlicher, stumpf machen wird?
Seh‘ ich nicht klar? Aus allen Winkeln dieses Raumes grinst zweifelnd die Unentschlossenheit.
Kennt ihr dieses wahnsinnige Lachen? 0h ihr könnt nicht darum wissen, sonst müssten eure Gesichter anders sein,
wenn ihr zu mir sprecht.
Dieses Flackern, Schwanken, Zermürben, das Linien um Mund und Augen tiefer gräbt und Menschen
zur Gleichgültigkeit zerstören kann! Oh! Eure Gesichter müssten anders sein, aber ihr wisst auch das nur kleinlich.
Ein Mensch wollte dem Freund sein, den er einmal geliebt hatte.
Er liebte ihn wohl wieder in anderem Sinne, und liebte ihn so mehr und tiefer.
Doch der Andere konnte nur Liebe geben, die besitzen will.
Und ward böse, denn er verstand ihn nicht.
I.
So manche Tage haben müden Mut
Und treiben Dich dahin in fremder Schwere,
Als ob dein Leben nicht mehr dir gehöre
Und alles steil und ferne wäre
Und losgelöst von deinem Blut.
Dann weißt du: Nichts mehr ist‚ das dich vermehre!
Verdunkelt fühlst du deiner Hände Leere
Und einsam sind die schweigenden Altäre,
Vordem erbaut aus reichem Gut.
Maria Schmolln, 11. Aug. 1920
II.
Dann sind die Weiten wie verhängt,
Bedrängen dich mit bleiernen Konturen
Und graue Blicke bleiben fortgesenkt,
Verschweigen‚ was sie einmal schwuren...
Die Menschen sind erstarrt in sich verengt
Und gehen fremd, wie tönerne Figuren:
Sie wissen, dass sie einer denkt.
Maria Schmolln, 15. Aug. 1920
III.
Träge und mit ihrer ganzen Qual
Glitten grau die Stunden ihr vorüber,
Bis sie endlich stumpf und schmerzlos über
Allem, alles schmerzlos sah und schal,
Und sie in des Tags Gerank
Müdverschlungsn sich verloren glaubte...
Als ihr junger Mut aus ihrem Haupte
Zündend, hell in ihre Tiefen sank.
Maria Schmolln, 21. Aug. 1920
IV.
Und sie hob sich auf aus aller Wirrnis
Wie ein Sturm aus langverblühten Fluren,
Sah von Zeigern großer Sonnenuhren
Abend gleiten, kühl und ohne Irrnis.
Und sie hielt die dunkelroten Schalen
Ihres Lebens groß in ruhigen Händen.
Wartend, dass sie neue Füllung fänden,
Trug sie sie in seltenem Erstrahlen.
Maria Schmolln, 20. Aug. 1920
Der Traum vom 2. November 1920
(Rohskizze)
Eine dunkle Arena mit schweren Yorhängen, auf denen seltsam stille und reine Blüten neben giftigen Orchideen
aus krausen Liniengewirren hervorleuchten.
Als einzige Lichtquelle die matte Helle der Bühne und die weißen Kleider der Mädchen im Parterre des Zuschauerraums.
Ich glaube das alles zu kennen, wie vor langer Zeit Erlebtes. Die Logen sind leer und gähnen dunkel in den Raum.
Das Ganze ein eigentümlicher Gegensatz zu den grellen Foyers, aus denen ich komme.
Unbestimmte Musik. In der Mitte der Bühne kauert eine Gestalt, die mit bizarrem Grinsen flackernde Gesten aus sich reißt,
den Kopf mit der spitzen Mütze lauernd vorgestreckt. Sie scheint eine Schar junger Geschöpfe zu dirigieren,
die in weichen Gewändern mit fließender Bewegung tanzend an ihr vorübergleiten. Sie alle haben etwas Verschlossenes,
Müdes wie Schlafende.
Auf einmal kommen aus dem Hintergrund Frauengestalten in grellen, gewöhnlich wirkenden Kleidern, scharfe Gesichter
neben gedunsenen, alle tragen einen Zug von Gemeinheit. Ihre Gebärden sind plump, von einer aufreizenden Erregtheit
gehoben und doch rhythmisch verschwistert denen der schlanken, schwingenden Gestalten, die alle vor ihnen weichen,
erschrecken, wie fliehend.
Sie verschwinden auf einen gebietenden Wink des Wesens in der Mitte, das nun mit irrem Lachen die Szene wieder beherrscht,
umrahmt von den träumenden Gesten der Mädchen, die sich sonderbar von dem grotesken Hintergrund abheben.
Durch das dunkle Erstaunen der Zuschauer trete ich unaufhaltsam vor die Rampe und frage nach dem Namen des Tanzes.
Man antwortet mir: REIFE.
Jugend... Wildsein... wurde mir so ferne.
Ich lasse alle Tage still verrinnen
Und meine Hände, die in ihnen sinnen,
Sind Leben, das ich erst begreifen lerne,
Das sie beseelt und das sie mir gewinnen.
Ich wurde neu, beherrschend diese Nacht.
Dass ihre Einsamkeit sich mir vertiefe
Und alles, was ich suche in ihr schliefe
Von meinem Dunkelsein so überdacht.
Wien, im November 1920
Überschauend alle wirren Kreise
eines Seins, das mich im Taumel schuf,
Bin ich alt. Nur manchmal dringt ein Ruf
In mich ein. Ich aber gleite leise.
Weiß den Weg, der diese bange Reise
enden soll, was hält mich, ihn zu schreiten?
Oh! In diesen grauen Einsamkeiten
Bin ich jung und fühle meine Glut.
Denn ich ahne, was sie mir bereiten.
Sieh, dann bin ich wieder, wie vor Zeiten
Und die Sehnsucht schreit in meinem Blut.
Wien, im November 1920
Einmal träumte sie in dunklen Zimmern im blauen Rauch ihrer Zigarette und ließ die Dinge zu sich sprechen,
die so sonderbar um sie waren.
Wilder Wein blickte grün durch blasse Vorhänge.
Luft fieberte kühl und toll.
Voll Sehnsucht und Wildheit starben ihre jungen Träume in lautlosen Klängen, von denen sie wunderbare
Schönheit nur ahnen konnte.
Braune Nacht füllte die Zimmer mit eigentümlicher Musik, darin griffen ihre kranken Hände tastend
nach Unerreichbarem.
Geisterhaft blieb die Geste in den Räumen...
"De profundis clamo ad te".
1920
Passacaglia
Musik! Nein anders... und doch Musik!
Oder wie nenne ich sonst dieses Tönen, das aufpeitscht,
Weit, weit fortschleudert, mitreißend, dunkel, erregt,
Und milde wird im schmalen Bau aus Bogen der Sehnsucht.
Musik.
Mit Dunkel sollte der Saal die lärmenden Menschengesichter
ausgelöscht haben,
Mit Dunkel, in dem Gold ein fremdes Leben gewinnt,
Fern eine Helle klingt, von der alles ausgeht.
Kampf, Traum, Aufruhr, Sehnsucht...
Musik!
Wir Verdunkelten schauern im Strom, der einbricht über uns;
In uns, weit, weit forttragend, aufschluchzende Seligkeit.
Musik.
Wien, 17. Februar 1923
Wenn du bei mir bist, lebe ich einen Zustand höchsten
Gespanntseins, es muss nur das Richtige kommen mich zu erlösen,
ein Wort, eine Geste... Ich weiß es nicht.
Sonst ist alles Lüge, Maske, maschinenhaft.
Und dann bist du traurig.
Ich aber liege in meinem Fauteuil in Polstern, sauge an meiner
Zigarette und muss die Zähne zusammenbeißen um nicht zu lächeln,
grausam, mit herabgezogenen Mundwinkeln...
Du bist traurig...Ich weiß dann, dass ich dich quäle und
berausche mich daran. Es reizt mich "auf Vulkanen zu tanzen"
après moi le déluge...
Ich möchte lachen, dirnenhaft, lachen bis zur Erschlaffung...
oder vielleicht auch nur leise lächeln, einen Strauß giftiger, hyp-
notisierend schöner Blumen haben, ihr Wesen austrinken...
und dann einen, der mich küsst, den ich nicht kenne, der mich küsst
bis ich erwache.
Wenn du bei mir bist‚ ist alles in mir äußerste Spannung.
Es muss nur das Richtige kommen sie auszulösen...
ein Wort... eine Geste... Ich weiß es nicht.
1920
Aus dem Zyklus: Ich und Du
.
Ich möchte meine Sehnsucht aus der leuchtenden Schale
meiner Jugend,
Eurer Jugend
Zu Tode trinken...
Du aber siehst mir zu.
Ich möchte mit meinen Händen in eure Nächte reichen
und mich berauschen an meinem Rausch...
Eurem Rausch...
Du lächelst.
Ich will meine Wildheit ausströmen in Tänzen,
die Wunden schlagen, euch und mir,
Deren fressender Schmerz im Taumel der Unbewusstheit endet.
DU LACHST.
Aufschrei einer endlosen Qual:
Ich oder Du?
Ich und Du.
Oh Einheit, Untrennbarkeit...
Endloser Tod an toten Stunden, vom Blut sterbender Wünsche
blühend gemacht.
0h Einheit... Untrennbarkeit...
Wien, Februar 1923
Die Erde flammt von rotem Feuer.
Ich hebe meine Augen auf, zur Sonne.
Der Himmel steht wie eine blaueTonne
Darinnen wandern alte Ungeheuer.
Ein schwarzer Vogel steigt ganz steil ins Licht
Und schwebt...  so tragen seine Flügel tausend Wonnen.
Warum verschmäht die Sonne mein Gesicht?
Die Seide meines Glücks liegt ungesponnen.
Wohl leuchten meine Hände wie durchglüht,
Doch meinem Leib bereitet Trauer ein Gewand
Und meine Stirn bleibt dunkel und verblüht...
In goldnen Linien klingt das Lied.
15. September 1925, auf der Fahrt
Du musstest kommen, dunkelste der Stunden.
Erde und See in deinen Samt gebannt
So ruhig unter tiefem Himmel stand,
Den deine Sterne selten überflammten,
Dass ihre Strahlen sanken in das samten
Und leise Hingebreitete von Berg und Baum. 
Und also glitten sie in meinen Traum,
Zu dem die Nacht aus fernem Wellenschlag
Seltsame Sprache sang...
Weit war der Tag!
Dein Herz ging andern Gang
Hoch voll von ihm und seinem Klingen;
In dir verlor sich seine Melodie...
Du wusstest es so ganz in Dich zu bringen...
So wurde seine Sehnsucht groß, wie nie.
Attersee, September 1926
Poesie eines unbekannten Vorfahren (?)
gefunden im Nachlass meiner Mutter zwischen den Skizzen ihres Onkels Josef Neukirch!
T e x t a r c h i v
 G a l e r i e
J.  N e u k i r c h
T e x t a r c h i v
 G a l e r i e
J.  N e u k i r c h
Alice Neukirch: Stiefmütterchen, Farbkreide auf grauem Papier, ca. 24x25 cm, undatiert, etwa 1927 Mondnacht   Grell fällt die Nacht in's Dunkel meiner Zimmer  Und füllt sie aus, dringt in geheimste Ecken.  Fahlgraue Schatten, die sich bang verstecken,  (Sie) Unterliegen ihrem starken Schimmer.  Stolz öffnet sie vor mir den weiten Mantel  Und blendet meinen Blick mit ihrem Glänzen.  Lautlos, in großer Rhythmik der Gedanken  Gehn meine Glieder, wie zu bleichen Tänzen.                                                                            1919 Sieh! Ich bin nur eine Geige  Voll von fremder Melodie,  Die ich töne, wie du sie  Mir befiehlst, und so verschweige.   Doch ich warte einer Stunde,  Die durch meine Saiten sprüht  Und von mir euch neue Kunde  Klingen soll. Noch schläft mein Lied.   Wien, Februar 1923
   © Josef Peneder 2017
Dies ist die Wiederkehr aus leichter Fröhlichkeit des Tages: Einsam sein im Dunkel des vertrauten Raumes - verhüllt von heimlicher Musik, die zögernd aufklingt - wie längst gelebter Schmerz - der in uns wohnt und der verwunden schien und lange vergangen. Warm leuchtende Bilder sinken von dämmernden Wänden und die verschleiernde Traurigkeit des Einst. Und du suchst die Stille ruhender Tage im Sommergold in solcher Nacht, die ihr so fern ist. Du weißt noch die beglückende Tiefe scheinbaren Vergessens und des langsamen Versinkens der Gedanken in der Weite sternumspannter Nächte, im sanften Erfühlen der dunklen Sprache von Bäumen und Wind - wenn die Augen ertrinken an der Unermesslichkeit des hingebreiteten Landes - bis ein sachter und silberner Nebel sie einhüllt und wieder entlässt in die Unermesslichkeit des Himmels - und die tiefe Beruhigung des leise atmenden Lebens dich umfängt und hält. - Eben noch wusstest du nur die heilige Entrücktheit dieser unsagbaren, trügenden Stille. Verlorene Klänge sterben im Dämmern - und steigen wieder auf - anschwellend zu einem leuchtenden Lied unsterblicher Sehnsucht - das stärker aufrauscht und hinzieht - wie eine Stimme zittert - und verströmt im Dunkelblau. Und willenlos senkt sich die Stirne, wie besiegt. - Dies ist die Wiederkehr - September 1929